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ÖPNV-Machbarkeitsstudie: Zwang oder Rettung?
Der ÖPNV wird ausgebaut für den Klimaschutz. Doch wer zahlt es am Ende? | Foto: Bild von Andy Leung auf Pixabay

ÖPNV-Machbarkeitsstudie: Zwang oder Rettung?

11. Juni 2020

Die Mobilitätswende muss kommen, dazu verpflichtete sich der rot-rot-grüne Senat mit dem Mobilitätsgesetz. Von hoher Relevanz ist dabei der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs - der ist allerdings teuer. Der Senat prüft nun unterschiedliche Möglichkeiten, Geld für das riesige Projekt „Ausbau des ÖPNVs“ zu generieren.

Vorschläge für die Verkehrswende

Dürre, Ernteausfälle, Waldbrände, Überschwemmungen, Tornados, gefährliche Tiere und Viren breiten sich auch – die Liste der Folgen des Klimawandels sind lang. Hier sind sich fast alle einig: er muss bekämpft werden. Doch wie? Da scheiden sich die Geister.

Der rot-rot-grüne Senat verpflichtete sich im Mobilitätsgesetz sowie im Koalitionsvertrag den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Drei Möglichkeiten zur Finanzierung des Vorhabens schweben dem Senat aktuell vor.

Zunächst könnte man die Kosten auf die Bürger umlegen. Heißt jeder wäre verpflichtet einen Anteil zu zahlen, egal ob er den ÖPNV nutzt oder nicht. Dafür würde jeder Berliner im Gegenzug je nach Höhe des Betrags ein Rabatt erhalten oder Gratisticktet für das ganze Jahr. „Mit einer neuen Finanzierungssäule können Mittel für den Ausbau des ÖPNV bereitgestellt und weitere Schritte in Richtung einer Öffi-Flat gegangen werden. Neue Finanzierungsinstrumente müssen zweckgebunden dem Ausbau des Nahverkehrs zukommen. Bei der Ausgestaltung müssen soziale Kriterien genauso wie die tatsächlichen Kapazitäten der öffentlichen Verkehrsmittel berücksichtigt werden.“, sagte Kristian Ronneburg (Die Linke). Ziel sei es, den ÖPNV damit attraktiver für die derzeitigen Nutzerinnen und Nutzer zu machen und gleichzeitig vor allem PKW-Fahrer stärker anzusprechen.

Ein weiterer Vorschlag ist die Einbeziehung der Touristen. Wie die Kurtaxe könnte man hier eine Tagespauschale von jedem Touristen verlangen, wofür jeder ein Tagesticket erhalten würde. Es besteht auch die Möglichkeit, Grundstückseigentümer oder Gewerbetreibende zur Kasse zu bitten.

Zudem ist eine City-Maut nicht auszuschließen. Bei dieser müssten Autofahrer für die Nutzung der Straßen in der Innenstadt zahlen und sich auf höhere Parkgebühren einstellen müssen.

Ob der Senat eine, mehrere oder keine der Alternativen wählt, wird derzeit entschieden. Ziel ist es in jedem Fall, durch weniger Auto- und mehr Bahnfahrer den CO2 Ausstoß zu senken. „Wir brauchen einen attraktiven und bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr in den Innen- und Außenbezirken, um immer mehr Menschen eine Alternative zum eigenen Auto zu bieten. Mit dichteren Takten, mehr Personal und Fahrzeugen sowie einer modernen Infrastruktur. Die bisherige Finanzierung stößt hier an ihre Grenzen. Unser Ziel ist, die ÖPNV-Nutzer*innen nicht noch stärker finanziell zu belasten und gleichzeitig den Autoverkehr in der Stadt zu reduzieren. Ich bin froh, dass die Studie hier gangbare Möglichkeiten aufzeigt. Die Ergebnisse der Studie werden wir nun diskutieren und entscheiden, welches Modell für Berlin passt.“, erklärte Harald Moritz (Bündnis 90/Die Grünen).

Berlin ist keine Insel

Allerdings, da sind sich die Vertreter der Regierung einig, darf der Ausbau nicht zu Lasten des Außenbezirks geschehen. „Bei der Abwägung aller Finanzierungsinstrumente ist wichtig, dass niemandem nachhaltig geholfen ist, den Innenstadtring auf Kosten der Außenbezirke zu entlasten. Wir wollen den freiwilligen Umstieg auf den ÖPNV fördern. Wir sollten ebenso nicht vergessen: Berlin ist keine Insel, kein gallisches Dorf. Vor diesem Hintergrund müssen wir eine abgestimmte Verkehrspolitik mit unseren Brandenburgern Nachbarn denken.“, betonte Tino Schopf (SPD)

Ähnlich argumentieren auch die Linken. „Eine weitere Finanzierungssäule muss daher zwingend mit einem Ausbau des ÖPNV-Angebots auch außerhalb des Innenrings einhergehen. Instrumente, die Verkehr und damit Abgase und Lärm lediglich verlagern, lehnen wir ab.“, so Ronneburg.

Die Kritik ist groß

Kritik erntet vor allem die Überlegung die Kosten auf alle Berliner umzulegen. Von Zwangstickt wird in dem Zusammen oft gesprochen. „Das Timing könnte nicht schlechter sein. Es ist völlig unstrittig, dass der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zwingend notwendig ist, um die Mobilitätswende zu schaffen.“, sagte Jörg Nolte, Geschäftsführer der IHK Berlin. Es hätte auch keine Machbarkeitsstudie gebraucht, um zu erkennen, dass die Anhebung von Parkgebühren bei gleichzeitigem Ausbau des ÖPNVs ein geeignetes verkehrspolitisches Instrument sei. „Unerklärlich hingegen ist es, die ÖPNV-Finanzierung auf alle Berliner Bürger und Betriebe sowie das Übernachtungsgewerbe und dessen Gäste umzulegen. Solche Finanzierungsmodelle belasten ausgerechnet in der schärfsten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren diejenigen, die zukünftiges Wachstum erwirtschaften sollen“, so Nolte weiter.

Ähnlich argumentierte auch Kai Wegener von der Berliner CDU gegen die Vorschläge der Regierung. Die Christdemokraten wollen nicht auf „Verbote und Umerziehung“ setzten. Sie wollen Angebote schaffen, damit die Berliner freiwillige vom Auto zum ÖPNV wechseln.

Ob die Berliner allein durch gute Angebote die klimafreundlich Variante wählen oder ob sie am Ende zu ihrem Glück gezwungen werden müssen, weiß niemand sicher. Doch egal welche Alternative der Senat am Ende wählt, ein Schritt in die richtige Richtung ist es in jedem Fall. (aak)